Ukraine-Krieg: Wie wirkt sich die Krise auf niedersächsische Unternehmen aus?
Veröffentlicht von RHP in News · Samstag 19 Mär 2022 · 3:45
Tags: Kriese, Krieg, Russland, Unternehmen
Tags: Kriese, Krieg, Russland, Unternehmen
Statements von Dr. Bernd Althusmann, Maike Bielfeldt, Christoph Meinecke und Dr. Volker Schmidt zum Branchengespräch
Aufgrund des Kriegs zwischen Russland und der
Ukraine ist Niedersachsens Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann heute mit
IHKN, UVN, NiedersachsenMetall und ausgewählten Unternehmen und Betrieben in
den Dialog getreten. Ziel war es, aus erster Hand zu erfahren, in welcher
Situation sich niedersächsische Unternehmen befinden, die sich in
unterschiedlicher Art und Weise wirtschaftlich in der Ukraine und/oder Russland
engagieren.
Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann: „Die
hohen Energiepreise treiben einige Unternehmen bereits an ihre Grenzen. Deshalb
brauchen wir umgehend eine spürbare Entlastung bei den Energieabgaben. Diejenigen
niedersächsischen Unternehmen, die in Russland und der Ukraine Niederlassungen
haben - wir sprechen von über 500 - oder Umsätze machen, ächzen unter der
derzeit wegbrechenden Geschäftsgrundlage. Fehlende Rohstoffe, nicht mehr funktionierende
Lieferketten, Cybersicherheit, Inflation - die Herausforderungen sind
vielfältig und gewaltig. Die Krise wird manche Branchen härter treffen als die
Corona-Pandemie. Der Bund muss jetzt schnell Kompensationen für entstandene
Schäden und spezielle Schutzschirme für besonders betroffene Branchen auf den
Weg bringen."
Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK
Niedersachsen: „Die niedersächsische Wirtschaft steht in großer Mehrheit
absolut hinter den Sanktionen - auch wenn inzwischen deutlich erkennbar wird,
was das an Einschnitten für die Betriebe bedeutet. Viele brechen ihre
Geschäftsbeziehungen nach Russland ab, nicht nur im Export, sondern auch im
Import - hier belastet die Suche nach neuen Lieferanten die Lieferketten
deutlich und viele Betriebe stehen ungelösten Haftungsfragen im
Russlandgeschäft gegenüber. Aber auch dort, wo unbelastet von Sanktionen noch
Geschäftsverbindungen bestehen, behindern Einschränkungen der Logistik den
Ablauf erheblich. Für einzelne Unternehmen, die bisher besonders große
Umsatzanteile mit russischen Partnern erzielt haben, wird die Situation
existenzbedrohend."
Christoph Meinecke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer
der Unternehmerverbände Niedersachsen e.V. (UVN): „Der Krieg in der Ukraine
trifft die Wirtschaft mit Lieferengpässen und daraus folgenden
Produktionsstopps. Dazu kommen die dramatischen Energiepreissteigerungen, die
viele Betriebe gefährden. Ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis ist
überlebensnotwendig, damit in Klimaschutz und Wasserstoff investiert werden
kann. Sonst werden wir in Europa kein Molekül Wasserstoff produzieren. Deshalb
muss die hohe Abgabenlast auf Energie für Unternehmen sinken. Mittel- und
langfristig müssen wir unabhängig werden von Energieimporten aus Russland. Dabei
geht es nicht nur ums Heizen, sondern um Tausende von Arbeitsplätzen in der
Industrie. Energieintensive Industriebranchen brauchen Versorgungssicherheit.
Wenn plötzlich der Ofen kalt wird, können Gießereien und Stahlwerke hier nicht
mehr produzieren. Bestehende Preiskalkulationen werden innerhalb weniger Tage
durch stockende Lieferketten und explodierende Logistik-, Rohstoff- und
Treibstoffpreise über den Haufen geworfen - in allen Branchen von Industrie
über die Ernährungswirtschaft, den ÖPNV, den Bau bis zum Handwerk. Das wirkt
sich auch auf öffentliche Aufträge aus. Hier müssen Bund, Land und Kommunen zur
Nachverhandlung bereit sein."
Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von
NiedersachsenMetall: „Der Krieg in der Ukraine hat bereits jetzt weitreichende
Folgen für die deutsche Wirtschaft, die mit jedem weiteren Tag, den die Kämpfe
andauern, gravierender werden. Neben den horrenden Preisen für Energie gehen
auch die Logistikkosten durch die Decke. Damit drohen die ohnehin schon extrem
belasteten Lieferketten großflächig zu zerreißen. Durch das Embargo sowie den
Krieg gelangen zudem viele wichtige Rohstoffe und Vorprodukte aus Russland und
der Ukraine nicht mehr nach Westeuropa. Das hat vor allem für Niedersachsens
Zulieferer gravierende Folgen: Durch die Konzentration großer Autohersteller
auf die Produktion von Kabelbäumen in der Ukraine fehlen nun systemische
Vorprodukte, die das Potenzial haben, die Produktion in einzelnen Standorten
für längere Zeit lahmzulegen. Das hat zur Folge, dass zahlreiche Autozulieferer
in Niedersachsen keine Abnehmer für ihre Produkte finden und existenziell
bedroht sind. Die Lage der Industrie ist sehr ernst. Jetzt ist von Seiten der
Politik zupackender Pragmatismus und ein hohes Maß an Flexibilität gefordert.
Eine Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelung und die hundertprozentige
Erstattung der Sozialabgaben bis zum 31. Dezember 2022 wären ein solcher erster
Schritt. Unternehmen und Beschäftigte brauchen jetzt Planungssicherheit mehr
denn je. Debatten über neue Belastungen der Unternehmen wie die
Lieferkettenrichtlinie und die sogenannte „Sozial-Taxonomie" der EU sind völlig
fehl am Platz. Unter Kostenentlastungspunkten wären sinnvoll: eine
vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent auf Energie, die
Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und die vom heutigen Bundeskanzler
noch im vergangenen Jahr angekündigte massive Absenkung des
Industriestrompreises."